25.02.2022
Machtlosigkeit, für die ich keine passenden Worte finde

Von Pfarrer Daniel Schilling-Schön

 

Es sind schwere Tage für die Menschen in der Ukraine und auch ich bin tief erschüttert, dass nun wieder in Europa Krieg tobt. Einst erschlug Kain seinen Bruder Abel- heute töten russische Soldaten ihre ukrainischen Brüder. Die Bibel kennt die Geschichte der Gewalt. Unser Glaube stellt uns immer an die Seite der Opfer. Darum geben wir heute ihnen Stimme und lassen sie zu Wort kommen.

Katsiaryna Yashchuk schreibt als Studentin in Halle:

"Meine beste Freundin lebt in Odessa. Sie musste vor einem Jahr aus Belarus auswandern, denn in Belarus ist es seit Sommer 2020 besonders unsicher. Jeder und jede kann verhaftet und ins Gefängnis gebracht werden. Zehntausende Belarussen haben das Land wegen der Unsicherheit und Verfolgung verlassen. Tausende davon befinden sich gerade in der Ukraine, da dieses Land die Protestierende warm unterstützt und willkommen geheißen hat. Es ist kulturell und sprachlich nah an der Heimat und das Weiterleben schien denkbar. Meine beste Freundin und ihr Mann konnten letztes Jahr in der Ukraine, an der Küste vom schwarzen Meer, in Sicherheit leben und freie Luft atmen.

Bis sie von Sirenen und fernen Explosionen aufgewacht sind, weil am Donnerstag, 24. Februar, um 5 Uhr morgens, ein Krieg angefangen hat.

In diesem Moment versucht meine beste Freundin die Ukraine zu verlassen. Die Armee des russischen Präsidenten Wladimir Putin hat die Ukraine attackiert, das schöne Land der charismatischen und freien Menschen, die für die Möglichkeit, selber ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, regelmäßig kämpfen und die eigene Identität stolz tragen.

Egal ob man aus Lwiw, Donezk, Minsk oder Magdeburg und Halle ist, wir fühlen uns heute alle gleich: schockiert, entsetzt, surreal, machtlos, zitternd von Angst und Stress, wie im schlechten Traum oder unrealistisch skizziertem Film. Es ist nicht zu glauben, dass trotz der Haufen von Geschichtsbüchern und Kulturstücken über Krieg, im Jahr 2022 Kiew und Iwano-Frankiwsk mit Bomben attackiert werden können. Wir haben alle bis zur letzten Sekunde gehofft, dass die böse Seite grundlos droht und gleich – puff! – verschwindet. Denn Krieg ist irrational und teuer, falsch und unfair, fremd und altmodisch. Denn wir Menschen glauben immer an das Gute.

Und dann telefonieren wir den ganzen Tag mit ukrainischen Freunden in der ganzen Welt und sammeln die Flecken der wertvollen Information: wie fühlst du dich? und deine Familie? was kann ich gerade für dich und für deine Heimat tun? hast du diesen Angriff erwartet oder bist du so geschockt wie ich? vielleicht mieten wir doch ein Auto und fahren zur polnisch-ukrainischen Grenze, um Menschen von dort abzuholen und irgendwie echt und real zu helfen?...

Krieg im 21. Jahrhundert sieht überraschenderweise nicht viel anders aus, als die beiden Weltkriege: abgesagter Zugverkehr am Bahnhof, marschierende Panzer, Listen der Kriegsverluste, Flüchtlinge mit kleinem Koffer, Bedürfnisse nach Information, Besorgnis der internationalen Gemeinschaft. Zusätzlich gibt es Schlangen vor Bankautomaten und bei den Tankstellen. Jeder fragt: Wieso kann sich sowas wiederholen? Und nun fühlen wir uns machtlos, weil das schlimmste schon passiert ist und du möchtest einfach, dass deine Liebsten in Sicherheit bleiben. Ab sofort wird die Empathie und Solidarität weltweit geübt, da nichts anderes uns bleibt.

Слава Україні!

Ihre Katsiaryna Yashchuk"

Üben wir christliche Solidarität, auch wenn wir dabei mit Einschnitten rechnen müssen. Bleiben wir mit unseren Gebeten auf der Seite der Opfer und fest im Glauben.

Ihr Pfarrer Daniel Schilling Schön